24.06.2013


Netzpolitik: #Neuland

In den letzte Tagen gab es eine hitzige Diskussion um die "Neuland"-Äußerung von Angela Merkel. Aber was steckt dahinter?

Viele werden den Kopf schütteln angesichts der Wellen, die diese beiläufige Äußerung der Bundeskanzlerin ausgelöst hat, aber der Kern liegt tiefer. Mit dem kleinen Wörtchen "Neuland" hat Frau Merkel den Eindruck vieler Internetnutzer, dass die Regierung eine fragwürdige, unbedarfte Internetpolitik betreibt selbst auf den Punkt gebracht und damit nur ein Ventil geöffnet.


Dabei kann man dies aus Sicht der jungen Generation, die bereits mit dem Internet aufgewachsen ist oder aus Sicht der Nerds betrachten. Aber viel spannender ist die Betrachtung aus wirtschaftlicher Sicht, die so gut wie jedes Unternehmen in Deutschland betrifft.


Ich selbst arbeite seit fast 20 Jahren als "Internetworker" im und mit dem Internet, dass unsere Regierungschefin noch im Jahr 2013 das Internet als "Neuland" bezeichnet ist für mich symptomatisch für die Internet-Politik der letzten Jahre.


In unserer Arbeit erleben wir jeden Tag die Probleme kleiner und mittlere Unternehmen in Deutschland im Zusammenhang mit dem Internet und das leider nicht erst seit kurzem, sondern seit Jahren. Ein paar Beispiele, die Unternehmen aus allen Branchen betreffen:


Breitbandausbau


Auch heute noch haben wir Kunden, die nicht mehr als einen 1 oder 2 MBit DSL-Anschluss bekommen, darunter sind Firmen, die auf die Anlieferung umfangreicher digitaler Auftragsdaten angewiesen sind (Druckdaten, Konstruktionsdaten, etc.). Das diese Daten mit kleinen DSL-Anschlüssen nicht mehr zuverlässig oder umgehend zugestellt werden können stellt diese Unternehmen vor existenzielle Probleme, insbesondere wenn vor Ort umfangreiche Produktionsanlagen vorhanden sind, die man nicht mal eben an einen anderen Standort versetzten kann. 


Wenn wir hier noch den internationalen oder auch nur innereuropäischen Wettbewerb mit einbeziehen, sieht es düster aus für die manche deutsche Betriebe. Bezüglich der Internetanbindung haben wir inzwischen den Level eines Entwicklungslands erreicht. Insbesondere strukturschwache Regionen in Deutschland bluten damit weiter aus. Das Internet ist kein lustiges Unterhaltungsmedium sondern ein essentieller Bestandteil heutiger Geschäftsabläufe! 


> DER SPIEGEL: Zukunfsbremse langsames Internet
> Sascha Lobo: Breitbandausbau: Die Stunde der Dummdeuter


Abmahnungen


Seit Jahren ein massives Problem, bei dem vor allem kleine, mittlere und neue Anbieter betroffen sind. Dabei geht es neben durchaus berechtigten Abmahnungen besonders um überzogene Abmahnungen wegen Kleinigkeiten, um große Unternehmen, die mit Abmahnungen kleine Anbieter verdrängen wollen und um dubiose Abmahner, die mit kleinen Fehlern auf Homepages einen Reibach machen wollen. Solche Abmahnungen können für kleine und junge Unternehmen existenzbedrohend sein. Sich dagegen zu wehren ist teuer und der Ausgang oft ungewiss. Dagegen unternommen wird wenig bis nichts.


> FAZ (Exemplarisch aus 2006): Die größte Sauerei des Jahres 


De-Mail


Während also ganz grundsätzliche und essenzielle Probleme gelöst werden müssten führen wir in Deutschland ein eigenes E-Mail-Verfahren ein. Ein Verfahren, das per Definition unsicher ist (De-Mail wird z.B. beim Anbieter entschlüsselt), aber rechtsichere Geschäfte und Behördengänge abwickeln soll (z.B. könnten mir einem gestohlenen Handy per De-Mail rechtsgültige Verträge abgeschlossen werden) ... und statt dieses System sicher zu machen, wird der unsichere Standard per Gesetzt einfach als sicher definiert. Und das alles, obwohl es bereits bewährte Systeme für eine sichere Kommunikation per E-Mail gibt.


Je nach Anbieter darf man dann auch noch pro versendete De-Mail bezahlen (duchaus bis zu 33 Cent pro De-Mail!) und wie sinnig ein nationaler Alleingang bei Kommunikationslösungen heutzutage ist steht sicherlich außer Frage.


> Sascha Lobo: De-Mail ist ein De-Bakel
> Netzpolitik.org: Rechtsverbindliche Kommunikation per De-Mail?


Die Liste ließe sich noch mit vielen weiteren Themen wie Leistungsschutzrecht, Netzneutralität, Vorratsdatenspeicherung, PRISM, Portierungsfehler, etc. erweitern, einige dieser Punkte werden wir in eigenen Artikeln näher erläutern.


Internet Basis essenzieller Geschäftsabläufe


Angesichts dieser seit Jahren massiven Probleme und der immer größen Bedeutung des Internets für essenzielle Geschäftsabläufe kann die Äußerung der Regierungschefin eines der (noch) führenden Industrienationen, das Internet sei für uns alle ja "Neuland", nur wie blanker Hohn klingen. Viel erschreckender ist aber, dass auch die anderen Parteien, die potentiell die nächste Regierung stellen könnten keine besseren Antworten auf diese, insbesondere auch wirtschaftlich, drängenden Fragen haben.


tl;dr
Wir können es uns als Industrienation im Jahr 2013 schlicht nicht mehr leisten das Internet noch als Neuland zu betrachten.


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